Als ich damals am 28.8.2010 in Deutschland aufgebrochen bin, war es schon ein komisches Gefühl. Mir wurde erst auf dem Weg nach Belgien bewusst, dass ich alles zurück lasse, um eine neue Erfahrung zu machen. Zum Glück gab es am Anfang die anderen Freiwilligen. Man kannte sich schon ein bisschen und alle haben das Gleiche durchgemacht, so hat man sich sofort verstanden (wenn auch nicht unbedingt von der Sprache her). Somit hatte ich an den Wochenenden immer etwas zu tun. Bis jetzt ist kein Wochenende vergangen, an dem ich nichts unternommen habe. Oft war es so, dass mich die Wochenenden und das Feiern mit den Anderen, vor möglichen Durchhängern gerettet haben. Was heißt "war", es ist nach wie vor so.
Somit war die Eingewöhnung in Belgien eigentlich überhaupt kein Problem.
Doch fast noch wichtiger als die Sympathie zu den anderen Freiwilligen ist es, dass mir mein Projekt gut gefällt, da ich hier die meiste, wirklich die meiste Zeit verbringe.
Im Vergleich zu anderen Projekten ist die Arbeit in „la Poudrière“ wirklich körperlich anstrengend. „la Poudrière“ ist eine Lebensgemeinschaft, die vor über 50 Jahren gegründet wurde. Hier leben Menschen verschiedenster (sozialer) Herkunft und Alter (8-92 Jahre) zusammen. Das bedeutet, dass zum Beispiel ehemalige Obdachlose und Alkoholiker mit Professoren, Jesuiten usw. zusammenleben. In „la Poudrière“ leben zurzeit um die 60 Menschen, verteilt auf fünf Häuser: Brüssel, Anderlecht (Stadtteil von Brüssel), Peruwelz, Vilvoorde und Rummen. Die Gemeinschaft hat fünf Ziele: „Anwesenheit“, „Freundschaft“, „Gerechtigkeit“, „Hoffnung/Utopie“ und „Bildung“.
Die Umsetzung im Alltag sieht dann wie folgt aus:
Der Tag startet um 7:30 Uhr mit dem Frühstück. Danach beginnt die Arbeit. Die Hauptaufgabe ist die Bewirtschaftung von zwei Second-Hand-Shops, das Recyceln von Alteisen, Papier etc. und das Anbauen von Äpfeln, Birnen etc. auf einem Bauernhof in Rummen. Die Aufgaben sind sehr abwechslungsreich und die ganze Einrichtung ist insgesamt riesig. Das Mittagessen, das von ein bis zwei Leuten vorbereitet wird, nehmen wir um 12:30 Uhr ein. Wir essen unter der Woche immer zusammen an einem großen Tisch. Dies ist eines der Mittel um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Wir fahren sehr oft mit dem Lkw durch Brüssel und holen Möbel und sonstige Gegenstände ab, die wir als Spende erhalten und anschließend weiterverkaufen. Das mache ich sehr gerne, da man mal „raus“ kommt und Ecken der Stadt kennenlernt, die sonst unbeachtet blieben. Nachmittags helfe ich dann oft beim Ein/Aufräumen des Ladens, beim Verkauf (dreimal pro Woche) oder bei sonstigen Tätigkeiten im und am Haus.
Um 17:15 Uhr haben wir Feierabend und eine dreiviertel Stunde Zeit bis zum Abendessen. Nach dem Abwasch um ca. 18:45 Uhr steht uns der Abend zur freien Verfügung
Das Leben in "la Poudriere" ist wirklich zeitaufwendig, denn unter der Woche schaffe ich es so gut wie nie, etwas in Ruhe zu erledigen, denn ich habe nur in den Pausen Zeit.
Außerdem darf man die zahlreichen Réunions nicht vergessen, wie die wöchentliche Reunion "de travail" (samstags ~9:30-10:30 Uhr) oder die monatliche Reunion "Spaghetti" (~14:00-17:00 Uhr).
Jedoch bekommt man auch einiges geboten, zum Beispiel werden Jonas und ich wahrscheinlich mit nach Paris über ein Wochenende und mit in den Urlaub nach Italien für zwei Wochen fahren. Zudem kann man sich eigentlich alles was man braucht umsonst aus dem Laden mitnehmen.
Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man nie wirklich alleine ist. Dies hat mir in einigen Momenten auch sehr geholfen.
Jetzt nach einem halben Jahr kenne ich die Leute besser und besser und ich möchte mir noch gar nicht den Abschied vorstellen. Wenn es so weiter geht, werden mir Land und Leute noch mehr ans Herz wachsen.
Auf sämtlichen Seminaren in Deutschland wurde uns von Ehemaligen immer wieder gesagt, dass ihr Auslandsjahr mit die beste Zeit ihres Lebens war. Ich dachte mir immer: "Das kann doch gar nicht sein, dass es allen soo gut gefallen hat usw." Aber im Moment läuft es bei mir genau auf dasselbe hinaus. Dies liegt auch an der guten Betreuung durch das Team vom DJiA auf deutscher Seite und dem SPJ hier in Belgien.
Es ist doch etwas anderes "alleine", also nicht mehr zu Hause zu wohnen, sondern auch noch in einem anderen Land, mit einer anderen Sprache und Kultur.
Ich kann abschließend sagen, dass es die beste Entscheidung seit langem war, nach Belgien zu gehen. Obwohl das Land klein und für die Mehrheit der Deutschen "unbedeutend" ist, hat es mehr zu bieten als man denkt. Die Leute, die ich kennengelernt habe, sind sehr aufgeschlossen und freundlich. Ein weiterer Vorteil ist die "Größe" eher die "Kleine" des Landes, denn so sind alle Freiwilligen nah zusammen und es ist ein Leichtes die oben angesprochenen, gemeinsamen Wochenenden zu verbringen. (Nur zum Vergleich: Paris-Nizza 932km, Brüssel-Lüttich 96km, ok übertriebenes Beispiel :P)
Es gab wie erwartet Rückschläge und Enttäuschungen, doch sind die schönen Momente bei weitem in der Überzahl, die alles andere immer wieder in den Schatten stellen. Zudem ist der Frühling im Anmarsch, was die Laune zudem hebt.
Der Großteil ist also geschafft und meine Rückkehr am 31.8. oder 1.9.2011 rückt immer näher und näher. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicke ich dieser entgegen.
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